Vor einem Jahr habe ich mich auf die jährlich im Oktober terminierten Steuerberaterprüfungen vorbereitet. Beim Lesen des aktuell veröffentlichten BFH-Urteils vom 16.04.2024, Az: IX R 38/21 fühlte ich mich zurückversetzt in den Prüfungsraum. Der 9. Senat des BFH hatte über einen Sachverhalt der Wegzugsbesteuerung zu entscheiden, gepaart mit verfahrensrechtlichen Fragen.
Fehlt bei der Erstellung der Steuerberaterklausur von Prüfungstag 1 - gemischte Klausur - noch ein wenig Würze, so füge Fragestellungen zum internationalen Steuerrecht hinzu. Zumal ein Rückblick auf die Beraterklausuren aus dem vergangenen Jahr deutlich zeigt, dass internationale Steuersachverhalte (auch solche nach AStG) an Bedeutung zunehmen. Doch bevor der Beitrag angehenden Prüflingen Angst und Bange bereitet, schwenken wir den Blick lieber zurück in die Realität.
Zum Sachverhalt
Der in Deutschland ansässige Kläger hatte von seinen Eltern im Jahr 2006 24 % Anteile an einer Kapitalgesellschaft spanischen Rechts mit Nießbrauchvorbehalt zugunsten seiner Eltern erhalten. Die Eltern des Klägers hatten die Anteile an der Kapitalgesellschaft zuvor durch Einbringung eines Ferienhauses gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erworben.
Der Kläger setzte das für Ihn seinerzeit zuständige FA kurze Zeit nach Abgabe seiner Einkommensteuererklärung 2013 mit einem als Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 AO gekennzeichneten Schreiben in Kenntnis.
Das Finanzamt veranlagte die Einkommensteuer 2013 ohne Berücksichtigung etwaiger Einkünfte in Bezug auf die Anteile an der Kapitalgesellschaft. Die Steuerveranlagung erfolgte endgültig. Dabei gilt zu beachten, dass der Zeitraum zwischen Aufgabe des Bekanntgabewillens und tatsächlichem Zugang des Steuerbescheides ggü. Steuerpflichtigen i. d. R. bis zu 10 Tage dauert.
In dieser kurzen Zeit setzte sich das FA erneut mit dem Sachverhalt zur Besteuerung der Anteile an der ausländischen Kapitalgesellschaft auseinander und vertrat nunmehr die Auffassung, dass die Neufassung des bestehenden DBA mit dem Königreich Spanien vom 03.02.2011 und der hiermit einhergehenden Änderung des Besteuerungsrechts von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an Immobilien-Kapitalgesellschaften einen Tatbestand der Wegzugsbesteuerung i. S. d. § 6 AStG auslöste.
Der im Finanzamt zuständige Sachgebietsleiter dokumentierte in den Steuerakten die Aufgabe des Bekanntgabewillens des veranlagten Einkommensteuerbescheides. Die Kenntnisnahme hierüber erhielt der Empfangsbevollmächtige des Klägers erst nach Zugang des veranlagten Einkommensteuerbescheides. Zudem erging seitens des Finanzamtes ein bezugnehmend auf die Besteuerungsgrundlagen inhaltsgleicher Steuerbescheid, welcher nunmehr jedoch unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangen war.
Einige Monate später änderte das Finanzamt den Steuerbescheid nach § 164 Abs. 2 AO und berücksichtigte nunmehr einen Entstrickungsgewinn i. S. d. § 6 AStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Zur Entscheidung
Bereits in der Vorinstanz war strittig, inwieweit für die Änderung des endgültig ergangenen Steuerbescheides eine Rechtsgrundlage bestand. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass für den erstmalig erlassenen Einkommensteuerbescheid der Bekanntgabewille rechtzeitig, d.h. vor wirksamer Bekanntgabe, aufgegeben wurde. Die Aufgabe eines Bekanntgabewillens setzt voraus, dass der Wille und die rechtzeitige Aufgabe des Bekanntgabewillens in den Akten des Finanzamtes hinreichend klar und eindeutig dokumentiert ist. Ein Veraltungsakt und damit ein Steuerbescheid, wird auch dann nicht wirksam, wenn die Finanzbehörde vor oder spätesten mit der Bekanntgabe mitteilt, dass der Bescheid nicht gelten solle.
Der BFH musste sich im Verfahren nicht nur mit der Frage beschäftigen, inwieweit der vom Finanzamt korrigierte Einkommensteuerbescheid 2013 des Klägers dahingehend zulässig korrigiert wurde, dass ein Tatbestand der Wegzugsbesteuerung berücksichtigt wurde, sondern auch mit der Fragestellung zu den verfahrensrechtlichen Problematiken i. S. d. AO.
In seiner Entscheidung bestätigte der BFH, entgegen der Auffassung der Vorinstanz des FG Köln vom 17.06.2021; Az. 15 K 888/18, dass seitens des Finanzamtes der Wille zur Aufgabe der Bekanntgabe des Steuerbescheides durch Dokumentation in den Steuerakten, in Form eines Aktenvermerks, wirksam umgesetzt wurde. Dass die tatsächlichen Abläufe nicht im Detail dokumentiert wurden sei aufgrund der klaren Aktenlage und der ebenso klaren Rechtslage, dass ein für die Steuerfestsetzung zuständiger Sachgebietsleiter zur Aufgabe des Bekanntgabewillens für einen Steuerverwaltungsakt berechtigt ist, nicht problematisch.
Zur Frage, ob ein Besteuerungstatbestand i. S. d. § 6 AStG vorliege, bemängelte der BFH Argumentationen des Finanzgerichtes. Die Vorinstanz habe versäumt, die Frage zu klären, ob der Kläger wg. des bestehenden Nießbrauchs ggü. seinen Eltern Subjekt der Wegzugsbesteuerung sein könne. Im Ergebnis bestätigt der BFH jedoch, dass unabhängig davon ein möglicher Entstrickungsgewinn nicht im Streitjahr, sondern im vorangegangenen Veranlagungszeitraum 2012 zu erfassen gewesen wäre. Zeitpunkt der Besteuerung eines Entstrickungsgewinns i. S. d. § 6 AStG tritt mit Beendigung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht ein. Besteuert wird in der letzten juristischen Sekunde der unbeschränkten Steuerpflicht des Wegziehenden. Dies gelte auch für den Ersatztatbestand des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG, der den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands einer Beendigung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gleichstellt.
Fazit
Der Kläger und Revisionsbeklagte gewinnt das Verfahren nunmehr, da das Finanzamt einen Tatbestand der Entstrickung im falschen Besteuerungszeitraum annahm, nicht aber wegen vom Finanzamt fehlerhaft angewendeter verfahrensrechtlicher Vorschriften zur wirksamen Bekanntgabe.
Das BFH-Urteil ist m. E. über den Einzelfall hinaus leider nicht besonders bedeutend, zumal das Verständnis zum Zeitpunkt der Besteuerung in der heute geltenden Fassung des § 6 AStG niedergeschrieben ist. Unbeantwortet bleibt die wesentlich bedeutendere Frage, ob eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an Anteilen i. S. d. § 17 EStG durch eine Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens tatsächlich zu einem einkommensteuerbaren Tatbestand führt.
Denn auch gemäß der heutigen Rechtslage enthält § 6 Abs. S. 3 Nr. 3 AStG keine Regelung zur Besteuerung von v. g. Sachverhalten. Auch aus dem geänderten Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen „Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes“ vom 22.12.2023 ergeht aus Rz. 89 keine eindeutige Regelung zur Beurteilung der unbeantworteten Fragestellung.