Zum Inhalt springen

Sie sind hier:

Umsatzbesteuerung von Aufsichtsratsvergütungen

Aktuelle Entwicklungen im Anschluss an neue EuGH-Rechtsprechung

Während sich die nationale Finanzgerichtsbarkeit bereits neuer EuGH-Rechtsprechung angeschlossen hat, hält die Finanzverwaltung einstweilen an der Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds fest. Daher kann sowohl die bisherige nationale als auch die europäische Rechtsauffassung zur Anwendung kommen. Für diesen Übergangszeitraum kann die Finanzverwaltung den Umstand der abweichenden Rechtsauffassungen in den zu erlassenden Steuerbescheiden nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen auslegen.

Einführung

In der deutschen Wirtschaft sowie auch innerhalb des Non-Profit-Umfelds ist die Bildung von Aufsichts- oder Verwaltungsräten stark verbreitet. Unabhängig davon, ob das Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, der GmbH, der GmbH & Co. KG bzw. sonstiger Kapital- oder Personengesellschaften firmiert, ist ein Aufsichtsrat entweder gesetzlich vorgeschrieben (z.B. § 9 Abs. 1 GenG oder § 6 Abs. 1 MitbestG ) oder er wird auf der Basis gesellschaftsvertraglicher Vorgaben (z.B. § 52 Abs. 1 GmbHG ) gebildet.

Im Hinblick auf die Vergütung eines Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats ist in der täglichen Praxis eine Vielzahl verschiedener Modelle anzutreffen. Diese reichen von einer ehrenamtlichen Tätigkeit über eine jährliche (pauschale) Festvergütung bis hin zur gesonderten Entgeltabrechnung für Teilnahmen an Sitzungen, Erstattungen von Reisekosten und Verbrauchsmaterial.

Bis zum Sommer des Jahres 2019 entsprach es einer in Deutschland langjährig durch die Finanzverwaltung bzw. Gerichtsbarkeit anerkannten Rechtsauffassung, wonach Mitglieder eines Aufsichts- bzw. Beirats (sofern sie Vergütungen für diese Tätigkeit erhalten) als Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 UStG anzusehen waren. Auch heute noch orientiert sich die Finanzverwaltung daran und hält einstweilen an ihren korrespondierenden Ausführungen im Umsatzsteueranwendungserlass (kurz UStAE, Abschn. 2.2 Abs. 2 Satz 7) unter Verweis auf die hierzu in der Vergangenheit ergangene BFH-Rechtsprechung an der Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsratsmitglieds (AR-Mitglieds) fest.

Maßgebliche finanzgerichtliche Rechtsprechung

EuGH

Aufgrund einer Vorlage des Gerichtshofs Herzogenbusch (Niederlande) musste der EuGH im Rahmen seines Urteils vom 13.6.2019 (Az.: C 420/18, Rechtssache IO) über die Frage entscheiden, ob die Mitglieder des Aufsichtsrats einer Stiftung nach niederländischem Recht der Umsatzsteuer unterliegen oder nicht. Die rechtliche Ausgangssituation nach niederländischem Recht war bzw. ist vergleichbar mit der deutschen Rechtslage. Hierbei kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass ein AR-Mitglied im Regelfall kein wirtschaftliches Risiko in Bezug auf seine Vergütung trägt und daher nicht davon ausgegangen werden kann, dass seine Tätigkeit im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. von Art. 9 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie selbständig ausgeübt wird.

Im konkreten Ausgangssachverhalt wurde von der niederländischen Stiftung eine Festvergütung an ein AR-Mitglied gezahlt, das aufgrund seiner „Rechtsstellung“ keinen „Vergütungsrisiken“ ausgesetzt und auch nicht in die Entscheidungen des Stiftungsorgans eingebunden war. Dem EuGH zufolge ist bei einer solchen Sachlage eine Unternehmereigenschaft des AR-Mitglieds zu verneinen, wenn aufgrund der Tätigkeit zwar eine feste Vergütung gezahlt, diese aber weder von der Teilnahme an Sitzungen noch den tatsächlichen Arbeitsstunden abhängt. Es fehle insofern an einer Übernahme des wirtschaftlichen Risikos. Daher könne das jeweilige AR-Mitglied auch keine im umsatzsteuerlichen Sinne selbstständige Tätigkeit ausüben.

BFH

Der BFH hatte im Rahmen seiner Entscheidung vom 27.11.2019 (Az.: V R 23/19 (V R 62/17)) erstmals die Möglichkeit, sich mit der unter Abschn. 2.1 dargestellten Entscheidung des EuGH auseinanderzusetzen. Grundlage war ein Revisionsverfahren, welches aus einer erstinstanzlichen Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster (Urteil vom 26.1.2017, Az.: 5 K 1419/16 U) hervorging. Hierbei erkannte der BFH – wie zuvor der EuGH – für Recht, dass ein AR-Mitglied entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer i.S. des UStG tätig ist, wenn es aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt.

Dabei hat der BFH erstmals und abweichend von seinen bisherigen Entscheidungen auch die Begleitumstände der Aufsichtsratstätigkeit mit in seine Entscheidungsgründe einbezogen. Denn nach der Rechtsstellung eines deutschen AR-Mitglieds gem. § 108 Abs. 1 AktG wirkt es nur an den durch Beschluss zu treffenden Entscheidungen des Aufsichtsgremiums mit und hat als Mitglied eines solchen Gremiums kein wirtschaftliches Risiko zu tragen, wenn es hierfür eine jährlich gleich hohe Festvergütung (ohne variable Vergütungsbestandteile) erhält.

FG Niedersachen

Im Rahmen einer (soweit überblickbar) erstinstanzlichen Folgeentscheidung zu der BFH-Rechtsprechung war die Frage zu entscheiden, ob die von dem Versorgungswerk für seine ehrenamtlichen Mitglieder des Verwaltungsrats gezahlten pauschalen Aufwands- und Kostenerstattungen (u.a. sog. Sitzungsgelder und Reisekosten, wobei erstere in Anhängigkeit der jeweiligen Sitzungsdauern mit einer zeitabhängigen Komponente bemessen wurden) zu umsatzsteuerpflichtigen Einnahmen des Vorsitzenden des Verwaltungsrats führen oder nicht.

Hinweis: Ob und inwiefern die Rechtsstellung eines Mitgliedes des Verwaltungsrats (oder vergleichbaren Gremiums) mit dem eines Aufsichtsrats vergleichbar ist, wird im Einzelfall zu bestimmen sein.

Das FG Niedersachsen kam im Urteil vom 19.11.2019 (Az.: 5 K 282/18) zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit eines Vorsitzenden eines Verwaltungsrats eines berufsständischen Versorgungswerks unter Heranziehung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze sogar bei einer variablen Vergütung nicht zu einer Unternehmereigenschaft i.S. des Umsatzsteuerrechts führt. Im konkreten Urteilsfall kam noch die Besonderheit hinzu, dass es sich bei dem Kläger um einen „Freiberufler“ handelte, welcher im Hauptberuf selbstständig als Unternehmer tätig war. Gegenstand des durchgeführten Klageverfahrens war aber nur die Frage der Umsatzbesteuerung der Einnahmen aus seiner Tätigkeit als Verwaltungsrat für ein berufsständiges Versorgungswerk.

Hinweis: Ein hierzu zunächst beim BFH anhängiges Revisionsverfahren wurde zwischenzeitlich durch die Finanzverwaltung zurückgenommen. Das Urteil des FG Niedersachsen ist damit rechtskräftig.

Änderung der nationalen Verwaltungsauffassung erforderlich

Während sich die nationale Finanzgerichtsbarkeit folglich bereits der EuGH-Entscheidung angeschlossen hat, hält die Finanzverwaltung einstweilen an der Unternehmereigenschaft des AR-Mitglieds fest (Abschn. 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE). Dieser Umstand macht es möglich, dass getreu dem Motto „entweder/oder“ sowohl die bisherige nationale als auch die europäische Rechtsauffassung zur Anwendung kommen kann. Für die bereits abgeschlossenen, aber noch nicht verfahrensrechtlich verjährten Veranlagungszeiträume steht dem AR-Mitglied insofern „Vertrauensschutz“ nach § 176 Abs. 1 AO zu. Für diesen Übergangszeitraum kann die Finanzverwaltung den Umstand der abweichenden Rechtsauffassungen in den zu erlassenden Steuerbescheiden nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen auslegen.

Hinweis: Diese „einschränkende“ Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht wurde durch den BFH in einer aktuell veröffentlichten, aber schon vom 12.12.2019 stammenden Entscheidung (Az.: V R 3/19) nochmals bestätigt.

Praxisauswirkungen in den Unternehmen bzw. Institutionen

Die überwiegende Anzahl der Unternehmen bzw. steuerbegünstigten Einrichtungen in Deutschland zahlt ihren Mitgliedern des Aufsichtsrats eine „Festvergütung“ bzw. ein „Sitzungsgeld“ unter Anwendung des Gutschriftverfahrens aus. Sofern das AR-Mitglied in der Vergangenheit nicht die Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG zur Anwendung gebracht hat, erfolgt die Abwicklung unter einem „offenen“ Ausweis der Umsatzsteuer.

Sollte nun das AR-Mitglied – auch für bereits vergangene Zeiträume – die vorgenannte EuGH-Entscheidung anwenden wollen, kann es dies innerhalb der steuerlichen Festsetzungsfristen jederzeit erklären. Da im Regelfall eine vom Unternehmen bzw. von der Organisation ausgestellte Gutschrift mit offenem Ausweis vorliegt, handelt es sich in diesem Moment um keinen Anwendungsfall des § 14c Abs. 2 UStG, da es sich insofern um eine Gutschrift für eine Leistung handelt, welche hier nicht gegenüber einem Unternehmen ausgestellt wurde (so ausdrücklich der BFH in seiner oben behandelten Entscheidung vom 27.11.2019).

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung muss man wohl zum Ergebnis kommen, dass sich durch die Umsatzbesteuerung der Aufsichtsratsvergütungen für die überwiegende Anzahl von Unternehmen grundsätzlich keine umsatzsteuerlichen Nachteile ergeben, wenn das Unternehmen vollumfänglich nach § 15 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Für Unternehmen der Sozialwirtschaft, bei denen der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2-4 UStG oftmals ausgeschlossen ist, wäre aber durch Anwendung der EuGH-Rechtsprechung auch ein finanzieller Vorteil für die Institution gegeben, da sich insofern die nichtabzugsfähige Vorsteuer und damit der Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung vermindern würde.

Empfehlung: Die steuerlichen und zivilrechtlichen Fragestellungen, die sich aus einer möglichen Korrektur der bis dato an das AR-Mitglied ausgestellten Gutschriften der Institution ergeben, werden jeweils gesondert zu untersuchen und zu lösen sein.

Während die Umsatzbesteuerung der auf die Umsatzsteuerpflicht von Aufsichtsräten entfallenden Vergütungsbestandteile mittelfristig auch nach Auffassung der Finanzverwaltung entfallen dürfte, handelt es sich bei den Einkünften daraus fortgesetzt einkommensteuerlich weiterhin um Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG).

Fazit und Ausblick: Mit der Rechtskraft der Entscheidung des FG Niedersachsen hat sich die Auffassung bestätigt, dass die Grundsätze der EuGH-Entscheidung für Aufsichts- wie auch Verwaltungsräte bzw. Mitglieder sonstiger vergleichbarer Gremien gelten, sofern das jeweilige Gremienmitglied kein wirtschaftliches Risiko aufgrund seiner erbrachten Leistungen eingeht. Ebenso wenig ändern die vom EuGH aufgestellten Grundsätze etwas an der rechtlichen Einschätzung, wenn das Aufsichtsratsmitglied in seinem Hauptberuf darüber hinaus als Unternehmer i.S. des UStG tätig sein sollte. Die weiteren Entwicklungen bleiben abzuwarten; wir werden Sie auf dem Laufenden halten.

Zurück zur Übersicht
Zurück zum Seitenanfang