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Quo vadis umsatzsteuerliche Organschaft?

Regelungen zur Organschaft in § 2 UStG unionsrechtswidrig?

Im Januar 2022 sind in zwei laufenden Vorlageverfahren des BFH vor dem EuGH die Schlussanträge der Generalanwältin veröffentlicht worden. In beiden Verfahren geht es im Kern um die Frage, ob die Regelungen in § 2 UStG zur Organschaft mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Wenn nicht, drohen dem Staat möglicherweise erhebliche Steuerausfälle. Weiterhin könnte dies das Ende eines zentralen Gestaltungsmittels für gemeinnützige Einrichtungen bedeuten.

Organschaft im nationalen Recht

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG enthält die Legaldefinition der umsatzsteuerlichen Organschaft. Danach wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Im Hinblick auf das zugrundeliegende Unionsrecht werden inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen auch Personengesellschaften als Organgesellschaften anerkannt.

Die Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft bestehen insbesondere darin, dass die Organgesellschaften wie rechtlich unselbständige Betriebsteile behandelt werden und dass der Organträger Steuerschuldner für den gesamten Organkreis ist. 

Gestaltungspotential der Organschaft

Für Unternehmen, die zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, hat die Existenz einer Organschaft letztlich nur administrative Konsequenzen, die insgesamt betrachtet nicht unbedingt eine Vereinfachung darstellen.

Dem Wegfall der Verpflichtung der Organgesellschaften zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen steht nämlich u.a. der Aufwand gegenüber, die Daten der Organgesellschaften zu einer einzigen Steuererklärung zu konsolidieren sowie den Umfang des Organkreises immer im Blick zu behalten, damit eine korrekte Abrechnung der Innenumsätze ohne Umsatzsteuer gewährleistet wird. Außerdem gibt es in Organschaften keine Erleichterungen bei der Abgabe der Zusammenfassenden Meldungen, d.h. jede Organgesellschaft bleibt insoweit selbst meldepflichtig. 

Für Unternehmen, die ganz oder teilweise vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind, kann die umsatzsteuerliche Organschaft dagegen (nach derzeit geltender Rechtslage) zu einer Reduzierung der Belastung mit nicht abziehbarer Vorsteuer genutzt werden. 

Beispiel: Die K-GmbH betreibt ein Krankenhaus und soll annahmegemäß ausschließlich steuerfreie Leistungen erbringen. Die 100%ige Tochter W-GmbH erbringt verschiedene personalintensive Dienstleistungen an die K-GmbH, z.B. Gebäudereinigung, Wäscherei etc.

Ohne die Existenz einer umsatzsteuerlichen Organschaft müsste die W-GmbH ihre Leistungen an die K-GmbH mit Umsatzsteuer abrechnen, welche die K-GmbH nicht als Vorsteuer abziehen könnte. Die W-GmbH hätte allerdings den vollen Vorsteuerabzug für die von ihr bezogenen Leistungen.

Dagegen wären die Umsätze der W-GmbH im Falle einer umsatzsteuerlichen Organschaft als nichtsteuerbare Innenumsätze zu behandeln. Die W-GmbH könnte in diesem Fall zwar ihrerseits keine Vorsteuer abziehen (weil die Ausgangsumsätze der Organschaft steuerfrei sind), allerdings wäre dieser Nachteil kleiner als der Vorteil aus der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze, wenn man davon ausgeht, dass der wesentliche Aufwand der W-GmbH aus Personalaufwand besteht, auf dem gerade keine Vorsteuer lastet. 

Vorlageverfahren des BFH

Beide Vorlageverfahren (Rs. C-141/20 und C-269/20) behandeln die Rechtsfrage, ob die zugrundeliegende Ermächtigung im Unionsrecht zur Bildung einer Organschaft es erfordert, dass die Gesamtheit der Organgesellschaften (auch als „Mehrwertsteuergruppe“ bezeichnet) als Steuerschuldner behandelt wird, oder ob es auch – so wie in § 2 UStG – zulässig ist, eine der Organgesellschaften als Steuerschuldner zu behandeln.

Schlussanträge der Generalanwältin des EuGH mit besonderer Brisanz

In ihren Schlussanträgen stellt die Generalanwältin unmissverständlich klar, dass sie die Regelungen zur Organschaft in § 2 UStG für unionsrechtswidrig hält. Den Hinweis des BFH im Rahmen des Vorlageverfahrens auf mögliche erhebliche Steuerausfälle lässt sie nicht gelten. Deutschland habe genug Zeit gehabt, „die im Zusammenhang mit seiner Regelung für Mehrwertsteuergruppen festgestellten Probleme zu beheben“. 

Von besonderer Brisanz für Unternehmen, die keinen vollen Vorsteuerabzug haben, sind die Ausführungen der Generalanwältin zu den Pflichten der Unternehmen, die eine „Mehrwertsteuergruppe“ bilden. Diese Unternehmen sollen nämlich nicht nur selbständige Steuerpflichtige bleiben und eigene Steuererklärungen abgeben. Darüber hinaus sollen diese auch ihre Umsätze an andere Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe (also die bisher als nicht steuerbar geltenden Innenumsätze) als steuerpflichtig behandeln. Damit würde das oben unter Abschn. 2 beschriebene Gestaltungsmodell ins Leere laufen.

Ausblick

Wie der EuGH in den Verfahren entscheiden wird, ist nicht abschätzbar. Oftmals folgt er zwar den Ausführungen der Generalanwälte, allerdings ist dies auch nicht zwangsläufig der Fall. Nicht auszuschließen ist auch, dass der EuGH nur einen Teil der Argumentation der Generalanwältin übernimmt, und den übrigen Ausführungen nicht folgt.

Ebenfalls vollkommen offen ist aus heutiger Sicht, welche Folgen sich aus einer durchaus im Bereich des Möglichen liegenden Unionsrechtswidrigkeit der geltenden Regelungen ergeben. Soweit der Fiskus sich drohenden Steuerausfällen gegenübersieht, wird er sicher alle Hebel in Bewegung setzen, um diese Ausfälle zu minimieren. Soweit sich für die Steuerpflichtigen nachteilige Auswirkungen ergeben (z.B. bei einem Wegfall der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen), bleibt zu hoffen, dass es großzügige Übergangsregelungen gibt, damit sich die Steuerpflichtigen auf die neue Rechtslage einstellen können.

Empfehlung: Aufgrund der zentralen Bedeutung der umsatzsteuerlichen Organschaft für den bei gemeinnützigen Körperschaften häufig fehlenden Vorsteuerabzug sollten die Entwicklungen aufmerksam beobachtet werden.

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