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Neues BFH-Urteil zu Verrechnungspreisen und Funktionsverlagerungen

Im einem kürzlich bekanntgewordenen Urteil (vom 09.08.2023, I R 54/19) hat der BFH zu zahlreichen Fragen zu Verrechnungspreisen und Funktionsverlagerungen Stellung genommen. Obwohl das Urteil mit den Jahren 2011-2013 weit zurückliegende Jahre und damit z. T. auch alte Fassungen von Rechtsvorschriften betrifft, lassen sich aus ihm verschiedene Erkenntnisse gewinnen, die überwiegend auch heute noch gelten.

Der Fall

Eine deutsche GmbH („deutsche KapG“) entwickelte, produzierte und vertrieb Produkte auf dem Gebiet der Trenn-/Zerspanungstechnik. Ihre 2007 gegründete bosnische Schwester-Kapitalgesellschaft („bosnische KapG“) drehte/fräste Werkteile und stellte auch Fertig-/Halbfertigprodukte her. Die GmbH finanzierte den Aufbau der ausländischen Schwestergesellschaft und stellte Personal zur Schulung der Mitarbeiter der ausländischen Kapitalgesellschaft ab. Seit 2012 leitete auch ein Mitarbeiter der GmbH die bosnische Gesellschaft, wobei jene Gesellschaft die Personalkosten trug.

Die GmbH berechnete der bosnischen Gesellschaft Material zu ihren eigenen Einstandskosten; die bosnische Gesellschaft berechnete die Rücklieferung der halbfertigen bzw. fertigen Produkte unter Verwendung einer „Deckungsbeitragsrechnung“ auf der Basis von Wertschöpfungsanalysen. Ab 2013 verkaufte die bosnische Gesellschaft auch Produkte direkt an einen fremden Dritten, welcher zuvor von der deutschen GmbH beliefert worden war.

Der Fall lässt sich grafisch wie folgt skizzieren:

Im Rahmen einer Betriebsprüfung vertrat die Finanzverwaltung folgende Auffassungen:

  • Soweit den Materialverkäufen an die bosnische Gesellschaft Rücklieferungen von Halb-/Fertigprodukten gegenüberstehen, sei aus der Funktions- und Risikoanalyse zu folgern, dass die bosnische Gesellschaft als Lohnfertiger zu beurteilen sei. Die Verrechnungspreise für die Leistung jener Gesellschaft seien unter Verwendung eines Aufschlagsatzes von 12% auf die Kosten zu ermitteln, wobei die Material­lieferungen durch die deutsche GmbH nicht in die Kostenbasis einfließen dürfe.
    Anm.: Im auf die Betriebsprüfung folgenden Urteil des FG Manchen (vom 26.11.2109, 6 K 1918/16) wurde der erwähnte Kostenaufschlagsatz dann auf 17% korrigiert.
  • Soweit die Materialverkäufe durch die GmbH an die bosnische Gesellschaft hingegen der Herstellung von Produkten dienten, welche von jener Gesellschaft an den erwähnten Drittkunden verkauft wurden, seien ggf. Gemeinkosten der GmbH, zumindest aber ein Gewinnaufschlag von 5% zu berücksichtigen.

Das Urteil und dessen Bewertung

Das BFH-Urteil enthält – abgesehen von verschiedenen technischen Fragen zum Verhältnis verschiedener Gewinnberichtigungsvorschriften zueinander – die folgenden wichtigen Aussagen:

  • Der BFH bestätigt die Zulässigkeit der in Verrechnungspreisfragen üblichen Sichtweise, dass eine steuerliche Gesamtbetrachtung mehrerer zivilrechtlicher Vorfälle unter Beachtung des wirtschaftlichen Gehalts des Geschehens gerechtfertigt sein kann. So kann im Urteilsfall die Materiallieferung von Deutschland nach Bosnien-Herzegowina sowie die Rücklieferung von Produkten zusammengefasst als „Lohnfertigung“ betrachtet werden, soweit die Materialien nicht in Produkte einfließen, welche die bosnische Gesellschaft selbst an den Drittkunden weiterverkauft.
  • In Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung hält der BFH auch die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (vorzugsweise unter Zugrundelegung von Plankosten) für die Konstellation eines Lohnfertigers für sachgerecht, wobei die Kosten des (wirtschaftlich vom Auftraggeber) beigestellten Materials als „nicht wertschöpfende Kosten“ nicht in die Kostenbasis einfließen.
  • Der BFH stellt konkrete Anforderungen an die Schätzung des Gewinnaufschlagsatzes (hier: für die Lohnfertigung): So wird die Schätzung aufgrund „allgemeiner Erfahrungssätze“ oder aufgrund von „Internetrecherchen“ verworfen und stattdessen ein Vergleich etwa unter Berücksichtigung des Funktions-/Risikoprofils bzw. der Branche gefordert. Damit werden Benchmark-Studien nicht nur bei Großunternehmen, sondern auch für KMU in der Verrechnungspreispraxis weiter an Bedeutung gewinnen. Gleichwohl bedarf es auch dann ggf. noch individueller Anpassungen, so z. B. im Hinblick auf Standortvorteile, welche nach Funktionen, Risiken, eingesetzten Vermögenswerten sowie realistisch verfügbaren Handlungsalternativen einzelfallbezogen zugeordnet werden müssen. Die häufig von der Finanzverwaltung favorisierte, pauschal hälftige Aufteilung der Standortvorteile hält der BFH damit für unzulässig.
  • Aus dem Urteil wird zudem deutlich, dass es bei Verrechnungspreisfragen häufig auf die Würdigung der Tatsachen ankommt. Da der BFH hierbei grundsätzlich an die Feststellungen des Finanzgerichts gebunden ist, können FG-Entscheidungen zu Verrechnungspreisfragen insoweit nur sehr eingeschränkt mit Erfolg vom BFH revidiert werden. Bereits vor dem Finanzgericht muss deshalb das Bemühen darauf gerichtet werden, die Tatsachen und Wertungen des Steuerpflichtigen überzeugend zu vertreten.
  • In Bezug auf die 2013 erfolgte Verlagerung des Geschäfts mit einem Drittkunden von der deutschen GmbH auf die bosnische Gesellschaft schließt der BFH eine Funktionsverlagerung aus: Es sei nicht ersichtlich, dass die Tätigkeiten für den Drittkunden ein organischer Teil des Gesamtbetriebs und damit eine Funktion seien. Wenngleich für den Urteilsfall im Ergebnis unbedeutend, verdient allerdings die Bemerkung des BFH Beachtung, dass der BFH die Richtigkeit der Auffassung des FG Niedersachen (vom 16.03.2023, 10 K 310/19) bezweifelt: Das FG Niedersachsen hatte im erwähnten Urteil für bis 2021 stattfindende Funktionsverlagerungen festgestellt, dass eine solche Funktionsverlagerung ein zwingendes ursächliches Verhältnis zwischen Funktionseinschränkung beim abgebenden sowie Funktionsausübung beim aufnehmenden Unternehmen voraussetze. Hier bleibt die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten.
  • Abschließend weist der BFH darauf hin, dass auch abseits einer Funktionsverlagerung die Verlagerung von Drittkundengeschäften aus einer deutschen auf eine ausländische Schwester-Kapitalgesellschaft eine Besteuerung in Deutschland nach den Grundsätzen über eine verdeckte Gewinnausschüttung auslösen kann. Dass dieser selbstverständliche Aspekt bislang von den Parteien (wie im Übrigen auch vom Finanzgericht) offenbar nicht ausreichend beleuchtet worden war, zeigt, dass betriebliche Umstrukturierungen gerade im internationalen Umfeld regelmäßig intensiver steuerlicher Beratung bedürfen, um alle Fallstricke zu erkennen und zu vermeiden.
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