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Neue Regeln für das Statusfeststellungsverfahren ab dem 1. April 2022

Als eines der letzten Vorhaben der 19. Legislaturperiode von CDU, CSU und SPD wurde zusammen mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) vom 16. Juli 2021 die Neuregelung des Anfrageverfahrens (sog. Statusfeststellungsverfahren) beschlossen. Damit verbunden sind bedeutsame Änderungen der bisherigen Praxis des Anfrageverfahrens, welches nach wie vor von der Clearingstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Bund - DRV Bund, nachfolgend DRV, auf Antrag kostenfrei durchgeführt wird.

Die Reform des Statusfeststellungsverfahrens tritt zum 1. April 2022 in Kraft.

Status quo

Das (optionale) Anfrageverfahren ist in § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) geregelt und bietet sowohl Betrieben als auch Erwerbstätigen die Möglichkeit, den oft schwierig einzuschätzenden und bei falscher Einschätzung mit erheblichen möglichen Folgen verbundenen sozialversicherungsrechtlichen Status einer Person in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit feststellen zu lassen. Der Begriff des Statusfeststellungsverfahrens wird auch von der zuständigen Verfahrensbehörde, der DRV benutzt; im Gesetzestext findet er sich in dieser Form nicht wieder, weder in der alten noch der neuen Fassung.

Für bestimmte Personengruppen ist das Statusfeststellungsverfahren zwingend durchzuführen. Handelt es sich bei angemeldeten Beschäftigten um den Ehegatten, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder um einen geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter, hat die Einzugsstelle einen Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus zu stellen (hieran ändert sich durch die Reform nichts).

Das Verfahren ab 1. April 2022

Neuer Feststellungsgegenstand - Erwerbsstatus statt der Versicherungspflicht

Die erste wesentliche Neuerung sieht die Reform bereits beim Gegenstand des Feststellungsverfahrens vor, einhergehend wurde der Normtitel des § 7a SGB IV in „Feststellung des Erwerbsstatus“ (vormals Anfrageverfahren) geändert.

Das bisherige Verfahren zielt auf die bei einer Beschäftigung entstehende Versicherungspflicht in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung, der häufig strittige abhängige Beschäftigungsstatus wird nur im Rahmen des Verfahrens als Vorfrage geprüft.

Zukünftig gilt, dass die Beteiligten bei der DRV eine Entscheidung beantragen, ob bei einem Auftragsverhältnis eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt.

Die DRV teilt den Beteiligten ihre voraussichtliche Entscheidung inkl. ihrer Beweggründe mit. Liegt eine abhängige und damit grundsätzlich versicherungspflichtige Beschäftigung vor, muss der „Nun-Arbeitgeber“ die erforderlichen Meldungen vornehmen. Die Versicherungspflicht setzt erst mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung des Erwerbsstatus ein, wobei die DRV den Zeitpunkt festzustellen hat.  Eine gesonderte Feststellung einer Versicherungspflicht ist in besonderen Sachverhalten erforderlich, z. B. für die Klärung, ob in der Krankenversicherung gegebenenfalls Versicherungsfreiheit als höherverdienender Arbeitnehmer besteht oder ob es sich um eine geringfügige Beschäftigung handelt. Mit der Entkoppelung des Statusfeststellungsverfahren von der Frage der Versicherungspflicht soll eine Beschleunigung des Verfahrens erzielt werden. Allerdings dürften Prüfungen auf Seiten der Arbeitgeber notwendig werden, die sich aus der Feststellung des Erwerbsstatus mit Blick auf eine etwaige Versicherungspflicht und damit verbundene Beitragszahlungen ergeben. Ob sich vor diesem Hintergrund die Intention der Vereinfachung und Beschleunigung tatsächlich verwirklichen lässt, bleibt unseres Erachtens abzuwarten.

Einführung einer Prognoseentscheidung

Bisher konnte das Statusfeststellungsverfahren erst nach Aufnahme der Tätigkeit durchgeführt werden.

Ab 1. April 2022 können jedoch die Beteiligten auf ihren Antrag zur verbindlichen Einordnung über den Erwerbsstatus hin, bereits vor Aufnahme der Tätigkeit Rechtssicherheit über den Erwerbsstatus erlangen. Um die noch nicht ausgeübte Tätigkeit dabei realitätsnah und zutreffend erfassen zu können, sind nicht nur die Vertragsbedingungen zu Grunde zu legen, sondern auch die Angaben der Beteiligten, wie das Vertragsverhältnis konkret ausgefüllt und gelebt werden soll. Die Beteiligten haben somit bei Antragstellung die tatsächlichen Umstände der Tätigkeit zu antizipieren. Die DRV kann daraufhin eine Prognoseentscheidung abgeben.

Ermöglichen die antizipierten und angegebenen Umstände keine abschließende Beurteilung, kann die DRV den Antrag ablehnen oder eine Entscheidung erst nach Aufnahme der Tätigkeit treffen. Ändern sich die schriftlichen Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung bis zu einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, müssen die Beteiligten dies der DRV unverzüglich mitteilen.

Die Prognoseentscheidung ist anders als der Begriff nahelegen mag, eine „reguläre“ und endgültige Feststellung des Erwerbsstatus. Sie bedarf nach Aufnahme der Tätigkeit weder einer Bestätigung noch einer weiteren Entscheidung.

Ermöglichung von Gruppenfeststellungen

Bisher muss bei Vorliegen mehrerer gleichartiger Auftragsverhältnisse für jeden Auftragnehmer ein gesondertes Verfahren durchgeführt werden. Mit der ab 1. April 2022 vorgesehenen Gruppenfeststellung wird das Einholen einer gutachterlichen Äußerung bei der DRV über den Erwerbsstatus für zukünftige gleiche Vertragsverhältnisse ermöglicht. Voraussetzung für eine solche gutachterliche Äußerung ist, dass zumindest ein konkretisierter Einzelfall als exemplarisches Anschauungsbeispiel vorliegt. Für die Beurteilung durch die DRV müssen die vertraglichen Bedingungen sowie die (beabsichtigten) tatsächlichen Umstände der Ausübung dargelegt werden.

Die Einführung der Gruppenfeststellung mittels gutachterlicher Äußerung ist zu begrüßen, schafft sie doch möglichst frühzeitige und umfassende Gewissheit über den Erwerbsstatus der Auftragnehmer. Allerdings trägt die gutachterliche Äußerung nicht den Charakter eines Verwaltungsaktes und entfaltet somit keine formale Bindungswirkung. Zwar lässt die Gesetzesbegründung annehmen, dass bei der gutachterlichen Äußerung faktisch die gleiche Wirkung wie bei der Einzelfallentscheidung eintritt; inwieweit sich in einer späteren Betriebsprüfung Prüfer an diese gebunden fühlen, bleibt für die Praxis abzuwarten.

Möglichkeit der Klärung bei Dreieckskonstellationen

Bei Einsatz von Fremdpersonal ist häufig ein Dritter als Vermittler oder Verleiher beteiligt, z. B. bei projektbezogenem Einsatz oder ausländischen Arbeitskräften.

Bei diesen Fällen sind für die Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit nicht nur die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer heranzuziehen, sondern sämtliche Rechtsbeziehungen, die den Einsatz des Auftragnehmers prägen, also auch die zwischen dem Dritten und dem Auftraggeber.  

Das Verhältnis des Erwerbstätigen zum Auftraggeber sowie das Verhältnis des Erwerbstätigen zum Dritten ist bisher hierbei separat zu prüfen. Außerdem konnten solche Dreiecksverhältnisse bisher häufig nicht abschließend geklärt werden und es mussten ggf. zwei Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden.

Ab 1. April 2022 wird nun eine Klärung des Dreiecksverhältnisses in einem einheitlichen Verfahren ermöglicht, so sollen divergierende Entscheidungen vermieden und eine Beschleunigung erreicht werden. Des Weiteren kann zukünftig auch der „Dritte“ eine Entscheidung über den Erwerbsstatus des Auftragnehmers beantragen und somit Rechtssicherheit erlangen.

Befristung

Die Einführung der für das Statusfeststellungsverfahren neuen Instrumente der (i) Prognoseentscheidung, der (ii) Gruppenfeststellung und der (iii) mündlichen Anhörung im Widerspruchsverfahren sowie die Möglichkeit, über den (iv) Erwerbsstatus in bestimmten Dreiecksverhältnissen abschließend entscheiden zu können, werden befristet (sie treten mit Ablauf des 30. Juni 2027 außer Kraft), da hierzu bisher keine Erfahrungen vorliegen.

Fazit

Unternehmen und beratende Berufe sowie selbständige Auftragnehmer haben sich auf einige grundlegende Neuerungen im Verwaltungsverfahren einzustellen. Auch wenn das neue Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV der Rechtssicherheit und Vereinfachung dienen soll, wird es in der Praxis weiterhin viele strittige Punkte geben. Ob die verfahrensrechtlichen Änderungen den Praxistauglichkeitstest bestehen, bleibt abzuwarten. Ein Schwachpunkt der „Reform“ ist, dass der Gesetzgeber das Hauptproblem, nämlich Abgrenzungskriterien (gerichtsfest) zu formulieren, anhand derer die Praxis das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bzw. einer selbstständigen Tätigkeit bestimmen kann, nicht angegangen ist. Das Risiko einer Falschbeurteilung durch den Arbeitgeber und damit die Gefahr einer Beitragsnachforderung, begleitet von möglichen weiteren Folgen wie Lohnsteuernachveranlagung und ggf. ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung, besteht weiterhin.

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