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Koalitionsvertrag 2021 – Vorhaben der neuen Bundesregierung im Bereich Arbeitsrecht

Die neue Regierungskoalition SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP hat sich in ihrem Koalitionsvertrag bei dem Thema Arbeit u. a. auf folgende Vorhaben verständigt:

Aus- und Weiterbildung

  • Es wird eine Ausbildungsgarantie ausgesprochen, „die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb.“
  • Mit einer Bildungs(teil)zeit soll Beschäftigten finanzielle Unterstützung für arbeitsmarktbezogene Weiterbildung angeboten werden. Diese ermöglicht z. B. das Nachholen eines Berufsabschlusses oder eine berufliche Neuorientierung. Voraussetzung eines solchen Teilzeitmodelles ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten.
  • Unternehmen im Strukturwandel soll die Bundesagentur für Arbeit zukünftig durch ein ans Kurzarbeitergeld angelehnte Qualifizierungsgeld ermöglichen, ihre Beschäftigten fortzubilden und im Betrieb zu halten. Voraussetzung dafür sollen Betriebsvereinbarungen sein.
  • Auch das Transfer-Kurzarbeitergeld soll ausgeweitet werden und das Instrument „Transfergesellschaft“ weiterentwickelt werden.

Arbeitszeit und Arbeitsort

  • Am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz wird festgehalten.
  • Es soll eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit geschaffen werden, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen.
  • Im Dialog mit den Sozialpartnern soll geprüft werden, welcher Anpassungsbedarf angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht besteht. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.
  • Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten erhalten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Für abweichende tarifvertragliche und betriebliche Regelungen muss Raum bleiben. Mobile Arbeit soll EU-weit unproblematisch möglich sein.
  • Homeoffice soll als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung abgegrenzt werden. Digitale Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen sollten hier der neue Standard sein.

Selbstständige

  • Selbstständige sowie Gründerinnen und Gründer soll der Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung erleichtert werden. Es soll geprüft werden, ob und wie dort ein Zugang ohne Vorversicherungszeit möglich ist.
  • Wer als Geschäftsführerin oder Geschäftsführer in einer GmbH (etc.) tätig war und dafür Beiträge entrichtet hat, sollte Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.
  • Zur Unterstützung von Soloselbständigen in der andauernden Corona-Pandemie soll die Neustarthilfe im Rahmen der Überbrückungshilfe III Plus so lange wie benötigt fortgeführt werden.
  • Unklar bleibt die Andeutung, für zukünftige schwere Krisen Vorsorge für steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen treffen zu wollen, um Selbstständigen "auch bei der Finanzierung ihrer Lebensunterhaltskosten schneller und besser helfen zu können".

Mindestlohn

  • Der gesetzliche Mindestlohn soll in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden. Im Anschluss daran wird die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden.
  • Anm.: Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns – Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland hat sich seit seiner Einführung am 1. Januar 2015 wie folgt entwickelt:
Jahr Mindestlohn (in €/Std.)
2015 8,50 €/Std
2016 8,50 €/Std
2017 8,84 €/Std
2018 8,84 €/Std
2019 9,19 €/Std
2020 9,35 €/Std
2021 9,50 €/Std (1. Halbjahr)
2021 9,60 €/Std (2. Halbjahr)
2022 9,82 €/Std (1. Halbjahr)
2022 10,45 €/Std (2. Halbjahr)

Mini- und Midi-Jobs

  • Bei den Mini- und Midi-Jobs sollen Verbesserungen vorgenommen werden; Hürden, die eine Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren, sollen abgebaut werden. Hierzu ist vorgesehen
    • die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen zu orientieren;
    • mit der dementsprechenden Anhebung des Mindestlohns die Mini-Job-Grenze auf EUR 520,00 zu erhöhen;
    • die Midi-Job-Grenze auf EUR 1.600,00 zu erhöhen.
  • Um zu verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden, soll die Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts bei Minijobs stärker kontrolliert werden. Für die Geringfügigkeitsgrenze soll es für Folgejahre eine automatische Koppelung an den Mindestlohn geben.
  • Es soll Tariftreueregelungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge geben. Viele Bundesländer sehen hier in ihrem Bereich bereits entsprechende zwingende Vorschriften vor, insbesondere im ÖPNV.
  • Für letzteren findet sich im Abschnitt Verkehr und Mobilität folgender ergänzender Programmsatz: „Wir setzen uns für faire Arbeitsbedingungen im ÖPNV ein. Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe zu berücksichtigen“.

Befristungen

  • Um Kettenbefristungen zu vermeiden, sollen mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre befristet werden.
  • Beim öffentlichen Dienst als Arbeitgeber soll die nur dort bestehende Möglichkeit der Haushaltsbefristung abgeschafft werden.
  • Beim Bund als Arbeitgeber soll die sachgrundlose Befristung sukzessiv reduziert werden.

VII. Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitskräftemobilität

  • Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind notwendige Instrumente. Die Option von Leiharbeit und Arbeit auf Abruf soll grundsätzlich erhalten bleiben. Hier ist dem Koalitionsvertrag keine konkrete Veränderung zu entnehmen.
  • Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz soll im Falle zukünftiger europäischer Rechtsprechung darauf überprüft werden, ob und welche gesetzlichen Änderungen vorzunehmen sind.
  • Weiter sollen die Krisenregelungen beim Kurzarbeitergeld nach der Pandemie evaluiert werden.
  • Anm.: Hiermit dürften allem die befristeten Regelungen der §§ 109 IV, 421 c II SGB III, § 11 a AÜG gemeint sein.
  • Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutzrecht sollen durch effektive Rechtsdurchsetzung verhindert werden.
  • Der Schutz von Beschäftigten bei grenzüberschreitenden Entsendungen soll verbessert und bürokratische Hürden abgebaut werden.
  • Saisonbeschäftigte sollen den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag erhalten.

Tarifautonomie

  • Die neue Bunderegierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken.
  • Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden.
  • Betriebsausgliederung zum Zwecke der Tarifflucht soll verhindert werden, indem die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt wird; unangetastet bleibt § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang).

Mitbestimmung

  • Die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit soll weiter gefördert werden. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten.
  • Online-Betriebsratswahlen sollen in einem Pilotprojekt erprobt werden.
  • Gewerkschaften soll ein digitaler Zugang in die Betriebe gewährt werden.
  • Im Zuge der Weiterentwicklung der Mitbestimmung soll das erst kürzlich verabschiedete Betriebsrätemodernisierungsgesetz evaluiert werden.
  • Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung soll künftig als Offizialdelikt (=eine Straftat, die von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgt wird) eingestuft werden.
  • Die Bundesregierung will die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickeln und sich dafür einsetzen,
    • dass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften (Societas Europaea (SE) oder Europäische Aktiengesellschaft) kommt und
    • dass die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen wird, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

  • Der hohe Arbeits- und Gesundheitsschutz soll erhalten und an neue Herausforderungen angepasst werden. Insbesondere der psychischen Gesundheit will man sich widmen und einen Mobbing-Report erarbeiten.
  • Ferner sollen Unternehmen kleinerer und mittlerer Größe (KMU) bei der Umsetzung des Arbeitsschutzes unterstützt und das betriebliche Eingliederungsmanagement gestärkt werden.

Vergütete Freistellung/elternzeitbedingter Kündigungsschutz/Erhöhung Kinderkrankentage

  • Die Bundesregierung will eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Diese Möglichkeit soll es auch für Alleinerziehende geben. Den Mutterschutz und die Freistellung für den Partner bzw. die Partnerin soll es bei Fehl- bzw. Totgeburt künftig nach der 20. Schwangerschaftswoche geben.
  • Der elternzeitbedingte Kündigungsschutz wird um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf verlängert, um den Wiedereinstieg abzusichern.
  • Die Kinderkrankentage pro Kind und Elternteil werden auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöht.

Entgelttransparenzgesetz und Prozessstandschaft, „Gleichstellungs-Check“

  • Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern soll geschlossen werden. Deshalb soll das Entgelttransparenzgesetz weiterentwickelt und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen ihre individuellen Rechte durch Verbände im Weg der Prozessstandschaft geltend machen können.
  • Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll gestärkt werden. Damit die Brückenteilzeit künftig von mehr Beschäftigten in Anspruch genommen werden kann, soll die sogenannte „Überforderungsklausel“ entsprechend überarbeitet und gleichzeitig für die Unternehmen übersichtlicher gestalten werden.
  • Anm.: Zur Vermeidung der Überforderung kleinerer und mittelgroßer Betriebe sieht § 9a Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG für Unternehmen, die regelmäßig mehr als 45 und weniger als 200 Arbeitnehmer beschäftigen, eine Zumutbarkeitsregelung vor, auf deren Grundlage nur ein Teil der Arbeitnehmer in diesen Betrieben Brückenteilzeit beanspruchen kann.
  • Um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen, soll die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie des Bundes weiterentwickelt werden, u. a. mit einem „Gleichstellungs-Check“ künftiger Gesetze und Maßnahmen.

Stärkung der Erwerbsmigration

  • Die Erwerbsmigration soll ausgebaut werden. Dazu soll die Gewinnung von ausländischen Fachkräften durch Bürokratieabbau und Digitalisierung der Verfahren vereinfacht und beschleunigt und das Einwanderungsrecht weiterentwickelt werden.
  • Zudem soll eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems als zweiter Säule zur Arbeitsplatzsuche vor Ort etabliert werden.
  • Die Blue Card soll auf nicht-akademische Berufe ausgeweitet und die Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland abgebaut werden.

 

Quelle: Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP)

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