Blogbeitrag
15.06.2023

1. Neues BMF-Schreiben

Das BMF hat am 6. Juni 2023 eine Neufassung der „Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise“ (VWG Verrechnungspreise 2023) veröffentlicht. Dieses Schreiben ersetzt primär die ähnliche Vorgängerfassung vom 14. Juli 2021 (VWG Verrechnungspreise 2021) und soll prinzipiell in allen offenen Fällen angewendet werden. Das BMF legt darin aber auch seine Auffassung zur aktuellen Fassung des AStG zu Funktionsverlagerungen sowie zur zugehörigen Verordnung (Funktionsverlagerungsverordnung - FVerlV 2022) nieder, die für Vorgänge seit dem 1. Januar 2022 gelten. Die Verwaltung wendet das neue BMF-Schreiben daher insoweit nur auf Funktionsverlagerungen ab diesem Datum an, während für frühere Vorgänge unter den alten Fassungen von Außensteuergesetz und FVerlV (FVerlV 2008) die „Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung“ vom 13. Oktober 2010 zu beachten sind. 

Nachfolgend gehen wir näher auf Neuerungen der VWG Verrechnungspreise 2023 in drei Bereichen ein.

2. Verweis auf die aktuellen OECD-Verrechnungspreisrichtlinien

Den neuen Verwaltungsgrundsätzen ist die aktuelle Fassung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien als Anhang beigefügt. Da das BMF allerdings auch schon nach der Vorgängerfassung die jeweils neueste Fassung dieser Richtlinien als zur Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes relevant ansehen wollte, ergibt sich insoweit keine unmittelbare Auswirkung.

3. Konzernfinanzierungen

Im Hinblick auf grenzüberschreitende Finanzierungsbeziehungen übernimmt das BMF die BFH-Urteile vom 18. Mai 2021 (I R 4/17) und vom 13. Januar 2022 (I R 15/21) in die VWG Verrechnungspreise 2023.

  • Im erstgenannten Urteil hatte der BFH entschieden, dass für die Bestimmung des fremdüblichen Zinssatzes von grenzüberschreitenden Intercompany-Darlehen vorrangig die Preisvergleichsmethode unter Berücksichtigung der Schuldnerbonität anzuwenden sei.
  • Im zweiten Urteil hatte der der BFH festgehalten, dass es für die steuerliche Behandlung grenzüberschreitender Finanzierungen zunächst entscheidend sei, ob es sich bei den zwischen Konzerngesellschaften hingegebenen Mitteln um betrieblich veranlasste Darlehen oder durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Einlagen handelt. Dies sei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Bei einem unbesicherten Darlehen sei dabei zu beurteilen, ob auch ein fremder Dritter - ggf. unter Berücksichtigung möglicher Risikokompensationen - das Darlehen unter gleichen Bedingungen ausgereicht hätte. Hätte ein fremder Dritter ein solches Darlehen nur zu einem höheren Zins vergeben, habe die Einkünftekorrektur vorrangig in Höhe dieser Differenz zu erfolgen.

4. Funktionsverlagerungen

Im Hinblick auf die erwähnten neuen Ausführungen zu Funktionsverlagerungen ab 2022 erscheint insbesondere das Folgende erwähnenswert:

a) Anwendungsfälle der Funktionsverlagerung

  • Eine Funktionsverlagerung liegt selbst dann vor, wenn das übernehmende Unternehmen eine der verlagerten Funktion vergleichbare Funktion bereits vor der Transaktion ausgeübt hat und diese durch die Verlagerung ausweiten kann: Wird ein bestimmtes Produkt für einem bestimmten Markt nicht mehr von einem inländischen, sondern von einem nahestehenden ausländischen Unternehmen produziert, will das BMF daher selbst dann von einer Funktionsverlagerung ausgehen, wenn das ausländische Unternehmen bereits vor der Veränderung andere Güter produziert hat und auch beim inländischen Unternehmen eine Produktion (ggf. sogar derselben Güter, wie sie nun auch vom ausländischen Unternehmen produziert werden) verbleibt.
  • Eine grenzüberschreitende Personalentsendung im Konzern wird nach Auffassung der Finanzverwaltung in der Regel eine Funktionsverlagerung darstellen, wenn das entsandte Personal seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich aus dem entsendenden Unternehmen mitnimmt und im aufnehmenden Unternehmen die gleiche Tätigkeit ausübt. 

b) Gesamtbewertung des Transferpakets

Da zumindest eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichspreise für das Transferpaket nur in den seltensten Fällen vorliegen, wird die Bewertung unter Verwendung ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden (z. B. kapitalwertorientierter Investitionsrechnungen) den Regelfall bilden. Hierbei gilt:

  • Im Rahmen der Berechnungen sind bei Personenunternehmen die persönlichen Ertragsteuern der Eigentümer zu berücksichtigen; das BMF will allerdings eine typisierende Berücksichtigung in der Höhe derjenigen Steuerlasten anerkennen, welche im Fall einer Kapitalgesellschaft auf Gesellschaftsebene aufgetreten wären.
  • Die FVerlV geht von einem im Zweifel unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum aus. Werden im Rahmen von Funktionsabschmelzungen im Hinblick auf im Inland verbleibende Routinetätigkeiten Verträge abgeschlossen, sollen daraus resultierende Vergütungen an das inländische Unternehmen jedoch nach Auffassung des BMF nicht notwendig unbefristet angenommen werden können. Vielmehr soll z.B. im Fall vertraglicher Kündigungsmöglichkeiten im Wege von Szenariobetrachtungen zu bestimmen sein, über welchen Zeitraum tatsächlich von diesen Vergütungen auszugehen ist.
  • Der für das Transferpaket anzusetzende Betrag liegt grundsätzlich innerhalb des Einigungsbereichs, der sich aus der Preisuntergrenze des verlagernden inländischen Unternehmens und der Preisobergrenze des übernehmenden ausländischen Unternehmens ergibt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass hierbei insbesondere zwei Konstellationen immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung geführt haben. Insoweit ist zu begrüßen, dass das BMF insoweit nunmehr durch verschiedene Ausführungen zu praktischer Anwendungssicherheit beiträgt:
    • Verlustfälle: Erleidet das verlagernde Unternehmen aus der zu verlagernden Funktion Verluste, so ist bei der Bestimmung der Preisuntergrenze auch die Option einer Einstellung der inländischen Funktionsausübung („Schließung“) zu berücksichtigen. Die vom BMF hierzu angeführten Beispiele erscheinen u.E. gleichwohl zumindest teilweise fragwürdig und lassen leider weitere Diskussionen mit der Verwaltung erwarten.
    • Substitutionsfälle: Für Fälle der Substitution technisch oder wirtschaftlich veralteter Produkte durch neuere, gewinnträchtigere erkennt das BMF nunmehr zumindest unter bestimmten Voraussetzungen eine Preisuntergrenze des verlagernden Unternehmens von null an. Kann das übernehmende Unternehmen mit der Funktion Gewinne erzielen, wird i.d.R. im Ergebnis dennoch ein positiver Wert für die Funktionsverlagerung der Besteuerung zugrunde gelegt, da sich der Wert der Funktionsverlagerung im Zweifel als Mittelwert des Einigungsbereichs ergibt.

c) Ausnahme von der Gesamtbewertung des Transferpakets

Macht der Steuerpflichtige bei fehlenden, zumindest eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichspreisen glaubhaft, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren, übt das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion nur gegenüber dem verlagernden Unternehmen aus. Wenn das Entgelt für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird, ist abweichend von der o.g. Gesamtbewertung des Transferpakets auch die Verwendung von Einzelverrechnungspreisen möglich. Leider enthält das neue BMF-Schreiben allenfalls rudimentäre Hinweise zu dieser für die Praxis ggf. höchst relevanten Ausnahme, so dass auch insoweit u.E. leider mit künftigen Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung zu rechnen sein wird.

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