Hintergrund
Ein Unternehmer kann bei denjenigen Leistungen die Eingangsumsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen, welche er im Rahmen seines Unternehmens bezogen hat. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hatte hierzu bereits 2021 entschieden, dass die Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug versagen darf, wenn
- der Unternehmer ein Wahlrecht hat, die bezogene Leistung seinem Unternehmen oder seinem Privatbereich zuzuordnen und
- die Finanzverwaltung nicht spätestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist für die Abgabe der Umsatzsteuererklärung (also regelmäßig bis zum 31.7. des Folgejahres) aus einer eindeutigen Entscheidung oder hinreichenden Anhaltspunkte hierauf die Zuordnung feststellen kann.
Ein Zuordnungswahlrecht hat der Unternehmer bei einem einheitlichen Gegenstand dann, wenn er ihn zu mindestens 10% unternehmerisch nutzt; er kann den Gegenstand dann entweder gar nicht, anteilig nach dem Umfang der unternehmerischen Nutzung oder vollständig seinem Unternehmen zuordnen. Die Dokumentation der Zuordnung hat nach dem erwähnten EuGH-Urteil somit ggf. entscheidenden Einfluss auf den Vorsteuerabzug.
In nachfolgenden Urteilen (XI R 28/21; XI R 29/21 sowie V R 4/20) hatte der Bundesfinanzhof (BFH) in dieser Beziehung zweierlei herausgearbeitet:
- Die Dokumentation der Zuordnung ist fristgebunden: Die Entscheidung des Unternehmers über die Zuordnung muss bis zum Ablauf der erwähnten gesetzlichen Frist aus nach außen hin objektiv erkennbaren Beweisanzeichen erkennbar sein. So sah es der BFH z.B. für eine Zuordnung eines Gebäudeteils zum Unternehmen als ausreichend an, dass bei einem Einfamilienhaus in den Bauunterlagen ein Zimmer als Arbeitszimmer bezeichnet war und der Unternehmer für seinen Betrieb einen Büroraum benötigte, er schon bisher statt eines externen Büros einen Raum in seiner Wohnung für sein Unternehmen verwendete und er beabsichtigte, dies auch im neu errichteten Einfamilienhaus so beizubehalten.
- Es besteht keine fristgebundene Mitteilungspflicht gegenüber der Finanzverwaltung bei hinreichenden nach außen objektiv erkennbaren Beweisanzeichen. Eine Mitteilung über die Zuordnung an die Finanzverwaltung ist somit nur nötig, wenn keine solchen hinreichenden Anhaltspunkte für eine Zuordnung zum Unternehmen vorliegen.
Neues BMF-Schreiben und Umsatzsteuer-Anwendungserlass
Aus dem BMF-Schreiben vom 17.05.2024 ergibt sich zunächst, dass das BMF die genannten Urteile im Bundessteuerblatt veröffentlichen und damit die Finanzverwaltung grundsätzlich zu deren allgemeiner Anwendung verpflichten will. Entsprechend aktualisiert das erwähnte Schreiben die Sichtweise der deutschen Finanzverwaltung einschließlich einer Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses. Die Verwaltungsanweisung reicht jedoch über eine reine Übernahme der erwähnten Rechtsprechung hinaus. Hervorzuheben ist hierbei das Folgende:
Wie bisher geht die Verwaltung davon aus, dass eine Dokumentation der Zuordnungsentscheidung regelmäßig bereits durch die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs erfolgt. Zugleich gibt das neue BMF-Schreiben aber auch Hinweise, was die Verwaltung als ggf. geeignete objektive Beweisanzeichen im oben erläuterten Sinn verstehen will, so etwa
- den Kauf oder Verkauf des Gegenstandes unter Firmennahmen
- die betriebliche Versicherung des Gegenstands
- die bilanzielle und ertragsteuerliche Behandlung des Gegenstands
- den Abschluss von Verträgen, um mit dem Gegenstand Ausgangsumsätze zu erzielen, so z.B. den Abschluss von Verträgen zum Weiterverkauf von erzeugtem Strom bei Photovoltaikanlagen
- die Ersatzbeschaffung vergleichbarer, bisher dem Unternehmen zugeordneter Gegenstände.
Die Verwaltung will es nach wie vor als gewichtiges Beweisanzeichen gegen eine Zuordnung zum Unternehmen ansehen, wenn der Unternehmer keinen Vorsteuerabzug aus dem Leistungsbezug geltend macht. In Übereinstimmung mit dem oben erwähnten EuGH-Urteil soll aber immerhin allein aus der fehlenden Geltendmachung des Vorsteuerabzugs in einer Umsatzsteuervoranmeldung nun nicht mehr auf eine vollständige Zuordnung zum Privatbereich geschlossen werden.
Auch nach der aktualisierten Verwaltungsauffassung muss die Dokumentation schließlich bis zur gesetzlichen Regelabgabefrist - also regelmäßig bis zum 31.07. des Folgejahres - erfolgen. Eine eventuelle Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärungen hat somit keinen Einfluss auf dieser Dokumentationsfrist.
Die im neuen BMF-Schreiben enthaltenen Grundsätze sind von der Finanzverwaltung in allen offenen Fällen anzuwenden.
Beurteilung
Mit dem neuen Schreiben passt das BMF seine Sichtweise weiter an die unternehmerfreundliche Rechtsprechung des EuGH und des BFH an. Für das Tagesgeschäft dürfte darüber hinaus vor allem die o.g. beispielhafte Aufzählung potenzieller objektiver Beweisanzeichen für den Unternehmer hilfreich sein.
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Dr. Dietrich Jacobs und Aleksandre Tedoradze verfasst.