Blogbeitrag
18.01.2024

Die erste große Streikwelle der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im noch jungen Jahr 2024 liegt hinter uns. Für Pendler und Bahnreisende eine Herausforderung und Geduldsprobe, für Arbeitsrechtler eine Aufregung ganz anderer Art.

von
Astrid Schulte

Wurden doch in den bei dem Arbeitsgericht Frankfurt sowie dem Landesarbeitsgericht Hessen (Hess. LAG) anhängigen Eilverfahren Argumente bemüht, deren Klärung voraussichtlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird und die einen praktisch bislang wenig beleuchteten Aspekt des Tarifrechts – die Gegnerunabhängigkeit / -freiheit – in den Fokus rücken wird.

Was ist geschehen?

Der Arbeitgeberverband der Deutsche Bahn-Unternehmen (AGV MOVE) und fünf Bahngesellschaften der Transdev-Gruppe hatten jeweils per einstweiliger Verfügung beantragt, den Streik der GDL zu untersagen. Die Antragsteller haben in beiden Instanzen verloren. Das Hess. LAG hat nicht feststellen können, dass die GDL mit dem Streik rechtswidrige Streikziele verfolge oder gegen die Friedenspflicht verstoße, so: Hess. LAG, Urt. v. 09.01.2024 - 10 LGa 15/24 und 10 LGa 16/24.

Welche Streitfrage hat das Hess. LAG offengelassen?

In dem die AGV MOVE betreffenden Verfahren hat sich das Hess. LAG unter Hinweis auf den nur eingeschränkten Prüfungsmaßstab im Eilverfahren darauf beschränkt festzustellen, dass es keine offensichtliche Tarifunfähigkeit der GDL feststellen könne. Die Deutsche Bahn hatte die Tariffähigkeit der GDL in Frage gestellt, nachdem im vergangenen Jahr hochrangige Mitglieder der GDL die Leiharbeitergenossenschaft Fair Train gegründet hatten.

Was sind die Argumente der Deutschen Bahn gegen die Tariffähigkeit der GDL?

Kernargument der Deutschen Bahn ist, dass die GDL durch die Gründung der Fair Train eingetragene Genossenschaft (eG) nicht mehr gegnerfrei und unabhängig sei, da es starke personelle und organisatorische Verflechtungen in den Führungspositionen von GDL und der Leiharbeitergenossenschaft gebe. Gem. § 3 Nr. 2 der Satzung der Genossenschaft können nur Gewerkschaftsmitglieder der GDL Mitglieder der Genossenschaft werden; gem. § 32 Nr. 1 dieser Satzung besteht der Vorstand der Genossenschaft aus zwei Mitgliedern, die zugleich Mitglieder der Genossenschaft (und damit der GDL) und natürliche Personen sein müssen (Selbstorganschaft). Durch die Gründung der Genossenschaft und den Abschluss von Tarifverträgen zwischen der Genossenschaft und der GDL sei die GDL nicht mehr nur Gewerkschaft, sondern gleichzeitig auch Arbeitgeber geworden. Damit stehe die GDL bildlich gesprochen auf beiden Seiten des Verhandlungstisches und schließe einen Tarifvertrag mit sich selbst ab (unzulässiges Insichgeschäft).

Warum wurde Fair Train eG gegründet?

Ziel der Fair Train eG ist es, Lokführer aus den Bestandsmitarbeitern der Eisenbahnunternehmen, insbesondere der Deutschen Bahn, zu gewinnen, sie in der Genossenschaft anzustellen und anschließend zu besseren Arbeitsbedingungen wieder an diese Eisenbahnunternehmen, insbesondere die Deutsche Bahn, zu verleihen, ggfls. sogar auf deren alte Arbeitsplätze.

Wie geht es weiter?

Der Arbeitgeberverband der Deutsche Bahn-Unternehmen (AGV MOVE) hat beim Hess. LAG nach § 97 ArbGG die Feststellung beantragt, dass die GDL nicht tariffähig ist, Hess. LAG, Az.: 5 BVL 1/2024. Das Hess. LAG hat sich für zuständig erklärt, ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest. Gegen den Beschluss des Hess. LAG ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zulässig, sodass zu erwarten ist, dass erst beim BAG diese Streitfrage einer abschließenden Klärung zugeführt wird.

Was bedeutet ein etwaiger Verlust der Tariffähigkeit für die GDL?

Sollte rechtskräftig festgestellt werden, dass die GDL nicht tariffähig ist, wären die Rechtsfolgen gravierend. Die GDL wäre nicht mehr in der Lage, wirksame Tarifverträge abzuschließen sowie rechtmäßige Arbeitskampfmaßnahmen zu organisieren. Damit würde auch eine tarifvertragliche Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz auf Grundlage dieser Tarifverträge ausscheiden, § 8 AÜG. Es darf deshalb mit Spannung verfolgt werden, ob die GDL es zum Schwur kommen lässt und abwartet, bis ihre Tariffähigkeit abschließend höchstrichterlich geklärt ist.

 

Über die Autorin: Astrid Schulte ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Wirtschaftsmediatorin bei der PKF FASSELT Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Rechtsanwälte (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).

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