Blogbeitrag
15.02.2023

Nachhaltigkeitsberichterstattung – und das sollte mittlerweile allen Verantwortlichen klar sein – ist keine alljährliche Pflichtübung, die nebenher erledigt und abgehakt werden kann. Die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind hoch. In der Anlage C zu ESRS1 1 werden die qualitativen Anforderungen an die Informationen, die ein Unternehmen in seinem Nachhaltigkeitsbericht präsentiert, klar definiert: Sie müssen relevant, vergleichbar, überprüfbar, verständlich und wahrheitsgetreu dargestellt sein. Die Kriterien Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit, Verständlichkeit und wahrheitsgetreue Darstellung rufen in uns allen sofort ein ungefähres Verständnis davon auf, was gemeint sein soll. Wie aber soll definiert oder entschieden werden, welche Informationen relevant sind?

Hierzu ist es hilfreich sich vor Augen zu führen, wer Adressat des Nachhaltigkeitsberichts ist, sprich für wen die Informationen bereitgestellt werden. Auf den ersten Blick scheint auch diese Frage einfach zu sein; Unternehmen kennen ihre Stakeholder in aller Regel. Wer allerdings versuchen würde alle Informationen gleichermaßen zufriedenstellend für alle Stakeholder bereitzustellen, würde schnell an seine Grenzen stoßen und erkennen, dass sich drei große Herausforderungen eröffnen:

  1. Die Interessen der Anspruchsgruppen sind oftmals konträr.
  2. Die Interessen einzelner Stakeholder in den jeweiligen Anspruchsgruppen können heterogen sein.
  3. Der Aufwand zur Erstellung eines allumfassenden Nachhaltigkeitsberichts ist unverhältnismäßig hoch.

Das bloße Wissen um die eigenen Stakeholder bedeutet somit nicht automatisch, dass auch klar ist, welche Informationen in den Nachhaltigkeitsbericht aufgenommen werden sollten. Das IDW2 hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf der ESRS vom 9. Januar 2023 nicht ohne Grund angemerkt, dass die Kombination der großen Anzahl möglicher Angaben mit dem komplexen Konzept der doppelten Wesentlichkeit die Entscheidung über in den Bericht aufzunehmende Informationen erschwert.

Es muss also zunächst abgewogen werden, welche Stakeholder in welchem Maße involviert werden sollen. Dies ist sicherlich auch ein unternehmenspolitisches Thema. Im nächsten Schritt müssen die Interessen der identifizierten wesentlichen Stakeholder ermittelt werden, um festzustellen, welche Angaben in den Nachhaltigkeitsbericht aufzunehmen sind. Die Möglichkeiten die Bedürfnisse und Erwartungen der Stakeholder zu ermitteln sind vielfältig:

  • Dialoge mit den Anspruchsgruppen beispielweise in Gremiensitzungen oder durch Lieferanten- und Kundengespräche
  • Sammlung von Meinungen und Erwartungen durch einseitige Kommunikation, beispielweise über anonyme Befragungen, Hinweisgebersysteme oder Feedback-Portale
  • Einholen von Informationen über aktuelle Trends durch Veröffentlichungen oder Studien
  • Einholen von Informationen über Erwartungen und Bedürfnisse lokaler Anspruchsgruppen bei standortspezifischen Themen sowohl auf politischer als auch gesellschaftlicher Ebene
  • Einholen von Informationen bei Ämtern, nicht nur mit Blick auf Gesetzeskonformität, sondern auch auf Umstände und Entwicklungen hin, bei denen Autoritäten gewisse Entscheidungsspielräume haben

Da die Stakeholder eines Unternehmens keine rein passive Rolle einnehmen, sondern aktiv auf das Unternehmen einwirken, reicht eine Stakeholderbefragung, wie in den ESRS gefordert, nicht aus. Treffender wäre es von Stakeholderinvolvement zu sprechen.

Das Ermitteln der wesentlichen Stakeholder und deren Interessen ist kein einmaliges Verfahren. Sowohl die einmal identifizierten Anspruchsgruppen als auch deren Interessen ändern sich im Laufe der Zeit. Die Stakeholderanalyse ist somit eher als ein Stakeholdermanagement anzusehen, die, ebenso wie Prozesse, Ziele und die Strategien, regelmäßig neu beurteilt werden sollte.

Wer es versteht seine Stakeholder zu verstehen und zu bedienen, hat allerdings auch einen Wettbewerbsvorteil - denn er weiß, was von ihm verlangt wird und kann dementsprechend agieren. Das Beschäftigen mit dem eigenen Stakeholdermanagement im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung sollte also nicht nur als Mittel zum Zweck angesehen werden, um einen den gesetzlichen Anforderungen genügenden Bericht aufzustellen, sondern auch dazu dienen, die Chancen zu erkennen, die damit einhergehen.

1 European Sustainability Reporting Standards (ESRS)

2 Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW)

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