Blogbeitrag
08.07.2024

Als Vorabverständigungen (im weiteren Sinn) werden im Vorwege getroffene Vereinbarungen zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden bezeichnet. Solche Vorabverständigungen dienen der vorsorglichen Streitvermeidung und sind im deutschen Steuerrecht z.B. als verbindliche Auskunft, verbindliche Zusage (im Anschluss an eine Betriebsprüfung) oder als lohnsteuerliche Anrufungsauskunft möglich. Besondere Bedeutung besitzen sie jedoch im internationalen Steuerrecht insoweit, als viele Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Regelungen zu einem zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren (sog. „Mutual Agreement Procedure“ - MAP) und dabei auch zu einer Vorabverständigung („Advance Pricing Agreement“ - APA) beinhalten.

Mitte des Jahres 2021 war mit § 89a AO eine neue deutsche gesetzliche Regelung zu zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage von DBA in Kraft getreten. Nun hat das Bundesfinanzministerium (BMF) mit Schreiben vom 26.06.2024 den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) angepasst, indem es seine Sichtweise zu § 89a AO in diese Verwaltungsanweisung eingepflegt hat. Zugleich wurde das bisher einschlägige BMF-Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen (BStBl. I 2006, S. 594) aufgehoben. 

Diese Entwicklung nehmen wir zum Anlass, im Folgenden wichtige Elemente der erwähnten DBA-Vorabverständigungsverfahren nach der neuen Verwaltungsanweisung zu skizzieren:

  • Antragsteller: Antragsteller muss die jeweils abkommensberechtigte Person sein. Dies ist z.B. relevant im Fall von (nicht zur Körperschaftsteuer optierten) Personengesellschaften, bei denen regelmäßig die einzelnen Gesellschafter gestützt auf das jeweils für sie einschlägige DBA den Antrag stellen müssen, oder bei deutschen ertragsteuerlichen Organschaften, bei denen häufig die Organgesellschaft den Antrag zu stellen hat.
  • Gegenstand eines Vorabverständigungsverfahrens: Anders als nach der erwähn­ten englischen Bezeichnung als „Advance Pricing Agreement“ zu vermuten, beschränken sich Vorabverständigungsverfahren nicht auf bestimmte Verrechnungspreise oder Gewinnaufteilungen. Vielmehr kann Gegenstand des Vorabverständigungsverfahrens nach § 89a AO jede Frage nach der Auslegung und Anwendung eines DBA sein. Zu beachten ist insbesondere für einmalige Transaktionen, wie etwa Funktionsverlagerungen, dass der Sachverhalt im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklicht worden sein darf. Bei Dauerhalten soll es hingegen ausreichend sein, dass im Zeitpunkt der Antragstellung noch Dispositionen möglich sind; der Geltungszeitraum der Vorabverständigung kann aber auch den gesamten Veran­lagungszeitraum der Antragstellung umfassen und auf Antrag kann zudem die Vorabverständigung, ggf. auch darüber hinaus, auf den im Zeitpunkt der Antragstellung bereits verwirklichten Teil des Dauersachverhalts angewendet werden (sog. Roll Back - siehe unten).
  • Kein Anspruch auf Vorabverständigungsverfahren: Es besteht für den Steuerpflichtigen kein Anspruch auf Einleitung eines Vorabverständigungsverfahrens oder gar Abschluss einer Vorabverständigungsvereinbarung; vielmehr stehen diese Entscheidungen im Ermessen des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt). Dabei soll das BZSt die Einleitung eines Vorabverständigungsverfahrens insbesondere ablehnen, wenn die Erzielung eines ungerechtfertigten Steuervorteils verfolgt wird. Zudem kann die Einleitung eines Verfahrens auch abgelehnt werden, wenn für das BZSt erkennbar mit dem anderen Vertragsstaat keine Einigung über eine einheitliche DBA-Auslegung erzielt werden kann, wenn in Verrechnungspreisfällen die beantragte Methode aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung nicht geeignet ist oder wenn der inländische Antragsteller seinen Pflichten im Besteuerungsverfahren (z.B. im Rahmen von Außenprüfungen) nicht nachgekommen ist.
  • Vorgespräch: Bevor ein Vorabverständigungsverfahren tatsächlich beantragt wird, können die potenziellen Antragsteller gegenüber dem BZSt ein unverbindliches Vorgespräch (sog. Prefiling Meeting) beantragen, um das Verfahren und seine Erfolgsaussichten zu erörtern. Das BZSt wird regelmäßig zur Vorbereitung dieses Vorgesprächs um die Übermittlung verschiedener Unterlagen - z.B. zum Sachverhalt oder dessen steuerlicher Einschätzung - bitten. Trotz dieses Arbeitsaufwands dürfte ein Prefiling Meeting häufig sinnvoll sein, z.B. um Hinweise auf Aspekte zu erhalten, welche das BZSt für besonders wichtig hält, so dass ihnen im Rahmen des späteren Antrags erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.
  • Antrag: § 89a AO enthält eine Beschreibung des Mindestantragsinhalts. Das BZSt kann jedoch jederzeit darüber hinaus Fragen stellen und weitere erhebliche Daten und Unterlagen anfordern, so z.B. auch relevante Verrechnungspreisdokumenta­tionen für dem beantragten Geltungszeitraum vorangehende Zeiträume.
  • Gebühren: Die deutsche Steuerverwaltung erhebt für die Bearbeitung jedes Antrags auf zwischenstaatliche Vorabverständigung eine Gebühr. Diese Gebühr beträgt grundsätzlich 30 TEUR und für eine Verlängerung einer Vorabverständigung 15 TEUR. Geringere Gebühren sind zudem z.B. für andere als Verrechnungspreisfragen vorgesehen oder wenn die Summe der von dem Vorabverständigungsver­fahren erfassten Geschäftsvorfälle eines Verrechnungspreisfalls bestimmte Betragsgrenzen nicht überschreitet.
  • Verfahren: Das BZSt leitet das Verfahren erst ein, wenn die Verfahrensgebühren unanfechtbar festgesetzt und entrichtet worden sind. Im Übrigen kann die deutsche Finanzverwaltung gemeinsam mit den anderen beteiligten Vertragsstaaten über die evtl. Notwendigkeit einer persönlichen Anwesenheit des Antragstellers oder seines Vertreters bei Vorabverständigungsgesprächen entscheiden.
  • Vereinbarung: Finden die zuständigen Behörden der beteiligten Staaten zu einer Einigung, teilt die deutsche Finanzverwaltung dem Antragsteller diese Einigung mit und fordert ihn - regelmäßig mit einer Frist von zwei Monaten - auf,

    • dem Inhalt der Vereinbarung zuzustimmen und
    • schriftlich gegenüber der zuständigen Behörde zu erklären, dass der Antragsteller in Deutschland auf die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen Steuerbescheide verzichten wird, soweit diese die Ergebnisse der Vereinbarung für den Geltungszeitraum von regelmäßig höchstens fünf Jahren zutreffend umsetzen.
       

    Im Rahmen der Vorabverständigungsvereinbarung wird dem Steuerpflichtigen zudem in der Regel die Verpflichtung auferlegt, einen jährlichen Bericht („Compliance Report“) vorzulegen, aus welchem hervorgeht, dass der Sachverhalt, welcher der Vereinbarung zugrunde liegt, verwirklicht wurde und dass insbesondere die in der Vereinbarung enthaltenen Gültigkeitsbedingungen auch tatsächlich eingehalten wurden.

  • Roll-back: Auf Antrag kann eine Vorabverständigung auf dem eigentlichen Geltungszeitraum vorangehende Veranlagungszeiträume angewendet werden; dies gilt jedoch nur, soweit die einschlägigen Fristen für ein Verständigungsverfahren nicht bereits abgelaufen sind.

Fazit

Die erwähnten Änderungen des AEAO sollen für alle Anträge auf Vorabverständigungs­verfahren gelten, die nach dem 8.6.2021 bei der zuständigen Behörde eingegangen sind. Erfasst werden folglich z.T. auch bereits schon (lange) laufende Anträge, Verfahren bzw. Vereinbarungen, die daher daraufhin untersucht werden sollten, inwieweit sie von den Anpassungen tangiert werden. 

Die neuen Regeln bringen zunächst eine begrüßenswerte erhöhte Rechtsanwendungs­sicherheit. Allerdings gibt es auch verschiedene faktische Verschärfungen; u.a. gilt:

  • Nach den neuen Regelungen sollen (unilaterale) verbindliche Auskünfte zu Fragen der grenzüberschreitenden Gewinnabgrenzung inkl. derjenigen zwischen Betriebsstätten nicht erteilt werden. Dies erscheint insbesondere dann misslich, wenn der andere Staat die Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens ablehnt oder eine Vorabverständigungsvereinbarung aus anderen Gründen nicht erzielt werden kann.
  • Im Vergleich zur bisherigen Situation reklamiert die Finanzverwaltung vermehrte bzw. erleichterte Möglichkeiten zur Ablehnung bzw. Beendigung eines Vorabverständigungsverfahrens - so z.B., wenn die deutsche Finanzverwaltung die gewählte Verrechnungspreismethode für ungeeignet hält, wenn die Gebühr nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Festsetzung entrichtet wurde oder wenn der Steuerpflichtige insgesamt seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.

Selbst wenn die rechtliche Haltbarkeit dieser Verschärfungen z.T. fragwürdig erscheint, sollten Steuerpflichtige dennoch auf die möglichst umfassende Einhaltung der diversen Vorgaben achten, da anderenfalls eine prospektive Streitvermeidung mittels eines möglichst zügig durchgeführten DBA-Vorabverständigungsverfahrens im Endeffekt nicht erfolgreich nutzbar sein dürfte.

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