07.10.2023 / Artikel aus PKF Nachrichten 10/2023
von RAin Maha Steinfeld

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien gewinnt zunehmend an Bedeutung: Unternehmerisches Handeln soll im Rahmen einer Unternehmensstrategie an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet werden bzw. diese sollen zumindest maßgeblich berücksichtigt werden. Dabei umfasst der Begriff der Nachhaltigkeit neben finanziell-wirtschaftlichen vor allem auch nicht-finanzielle Aspekte. Im Folgenden wird dargestellt, was unter einer nachhaltigen, insbesondere sozial verantwortlichen Unternehmensführung zu verstehen ist und wie diese im arbeitsrechtlichen Kontext umgesetzt werden kann.

Hintergrund und begriffliche Abgrenzung

Im Jahr 2014 hat die EU erstmalig für bestimmte Unternehmen im Bereich der handelsrechtlichen Berichterstattung CSR-Richtlinien („Corporate Social Responsibility“) eingeführt. Ziel ist es, die Transparenz über ökologische und soziale Aspekte von Unternehmen in der EU zu erhöhen, u.a. indem die Berichtspflichten im Lagebericht ausgeweitet werden. Die heute bereits anzuwendende „Non-Financial Reporting Directive“ (NFRD) wurde weitergehend verschärft und soll nun als CSRD (CSR Directive) bis zum 6.7.2024 national umgesetzt werden. 

Die Komponenten „Environment“, „Social“ und „Governance“ (ESG) können im Rahmen der Unternehmensstrategie wie folgt definiert werden.

(1) E = „Environment“ (Umweltschutz): Hierzu kann auf Art. 9 der Taxonomie-VO zurückgegriffen werden, in dem sechs Umweltziele definiert werden: 

  • Klimaschutz, 
  • Anpassung an den Klimawandel, 
  • nachhaltige Nutzung sowie Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, 
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, 
  • Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung 
  • sowie Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen. 

In Deutschland wird im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) das Ziel festgelegt, zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Klare Vorgaben, wie diese Ziele zu erreichen sind, fehlen indes.  

(2) S = „Social“ (soziale Komponente): Insbesondere das Arbeitsrecht füllt einen großen Bereich der sozialen Verantwortung von Unternehmen aus, da es dem Schutz des Arbeitnehmers als schwächerer Vertragspartei sowie dem Schutz konkreter Menschenrechte dient. Dies umfasst verschiedene Themenbereiche wie insbesondere Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Vielfalt und Inklusion. 

(3) G = „Governance“ (Verantwortlichkeit der Unternehmensführung): Dies umfasst beispielsweise Steuerungs- und Kontrollprozesse für die Einhaltung gesetzlicher Regelungen und Offenlegungspflichten ebenso wie die Aspekte Managementvergütung und Implementierung einer Nachhaltigkeitsstrategie.

Rechtliche Grundlagen im Überblick

Die Durchsetzung von ESG-Vorgaben soll – so die Strategie der EU-Kommission – mithilfe einer Mischung verschiedener Instrumente geschehen:

  • Zwingende rechtliche Vorgaben, insbes. auf der Grundlage von EU-Richtlinien und Verordnungen, die z.T. in nationales Recht umgesetzt werden müssen.
  • „Soft Law“, also weiche Vorgaben, z.B. in Form von „Erwartungen“ oder „Empfehlungen“. 
  • Sonstige weiche Steuerungsmechanismen, etwa zur Entwicklung von „Best Practices“.

Hinsichtlich arbeitsrechtlicher Vorgaben bilden die International Labour Standards (ILS) der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation), die Teil des Rechts der Vereinten Nationen sind, den internationalen Kernstandard. Fünf Grundprinzipien bestimmen das Selbstverständnis und das Handeln der ILO:

  • Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen,
  • Beseitigung der Zwangsarbeit,
  • Abschaffung der Kinderarbeit,
  • Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf,
  • Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit.

Im nationalen Kontext werden die internationalen Standards in nationalen Gesetzen (etwa zum Arbeitsschutz, Verbot von Kinderarbeit, Mitbestimmung) sowie durch Einbeziehung der Wertungen in die nationale Rechtsprechung (etwa zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit) umgesetzt. International kommen die Standards beispielsweise in Ethikkodizes von Konzernen oder Unternehmen bzw. in internationalen Rahmenvereinbarungen privatrechtlich im Sinne von Selbstverpflichtungen zur Anwendung. 

Instrumente zur Umsetzung im Unternehmen 

Lieferkettensorgfaltspflichten

Das am 1.1.2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) soll der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage dienen. Hiermit wurden verbindliche Vorgaben für eine verantwortungsvolle Gestaltung von Lieferketten durch große Unternehmen aufgestellt. Es gilt zunächst für alle Unternehmen mit i.d.R. mindestens 3.000 (ab 2024: 1.000) Arbeitnehmenden in Deutschland. In Deutschland ansässige Unternehmen dieser Größe werden verpflichtet, ihre weltweite Lieferkette auf menschenrechts- und umweltbezogene Risiken zu überprüfen. Die „Lieferkette“ umfasst dabei alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens.

Die betroffenen Unternehmen sind zur Aufstellung von Kontrollmechanismen innerhalb der Lieferkette verpflichtet, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung internationaler Standards (dies unter Inbezugnahme zahlreicher Übereinkommen der ILO). Erfasst ist nicht nur das Handeln des Unternehmens selbst, sondern auch das der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer.

Die Unternehmen müssen nachweisen, dass sie die gesetzlich definierten Sorgfaltspflichten eingehalten haben. Zu diesen Sorgfaltspflichten zählen insbesondere

  • ein wirksames Risikomanagement,
  • eine Menschenrechtsstrategie, 
  • eine betriebsinterne Zuständigkeit zur Überwachung des Risikomanagements (etwa: Position eines Menschenrechts- bzw. Beschwerdebeauftragten),
  • angemessene und wirksame Präventionsmaßnahmen (u.a. ein Beschwerdeverfahren). 

Hinweis: Beschwerdeverfahren nach dem LkSG können oder sollten mit Meldesystemen auf der Basis des Hinweisgeberschutzgesetzes abgestimmt werden („Whistleblower-Systeme“). 

Von einer Menschenrechtsverletzung innerhalb der Lieferkette Betroffene können beispielsweise inländische Gewerkschaften zur Prozessführung ermächtigen. 

Hinweis: Faktisch können vom LkSG nicht nur die Unternehmen mit i.d.R. mindestens 3.000 (ab 2024: 1.000) Arbeitnehmenden, sondern auch KMU mit (deutlich) weniger als 1.000 Mitarbeitenden betroffen sein. Denn wenn sie Lieferant eines in den gesetzlichen Anwendungsbereich fallenden Unternehmens sind und von diesem vertraglich zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten angehalten werden, müssen sie die Verpflichtungen praktisch ebenso erfüllen!

Berichterstattungspflichten

In Umsetzung der CSR-Richtlinie wurde die Berichterstattung der davon betroffenen Unternehmen um eine nichtfinanzielle Erklärung ergänzt. Inhalt dieser Erklärung sind u.a. „Arbeitnehmerbelange“. Nach dem Gesetz können sich diese auf folgende Punkte beziehen: 

  • die Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Geschlechtergleichstellung ergriffen wurden, 
  • die Arbeitsbedingungen, 
  • die Umsetzung der grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, 
  • die Achtung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, informiert und konsultiert zu werden, 
  • den sozialen Dialog, 
  • die Achtung der Rechte der Gewerkschaften, 
  • den Gesundheitsschutz und 
  • die Sicherheit am Arbeitsplatz. 

Hinweis: Die EU-Kommission hat zur Vereinheitlichung der Berichterstattung zwölf European Sustainability Reporting Standards („ESRS“) verabschiedet. Arbeitsrechtsspezifische Offenlegungspflichten sind darin in ESRS S1 festgehalten.

Nachhaltigkeitsmaßnahmen

Unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben („hard law“), deren Ausweitung insbesondere auf EU-Ebene zukünftig zu erwarten ist, steht dem einzelnen Unternehmen eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, die im Rahmen einer ESG-Strategie je nach Unternehmensgröße, -branche etc. eine Rolle spielen können. Solche Maßnahmen sind z.B. die folgenden (keine abschließende Aufzählung): 

(1) Einführung eines „Code of Conduct”: Vonseiten der Unternehmensführung kann – möglichst frühzeitig – ein „Code of Conduct“ erstellt werden, um das von den Arbeitnehmern gewünschte Verhalten festzuhalten und die Akzeptanz der Belegschaft und des Betriebsrats, soweit vorhanden, zu erhöhen.

(2) Mitarbeiterbefragungen bzw. Erhebung von Arbeitnehmerdaten: Der Arbeitgeber kann (freiwillige) Mitarbeiterbefragungen, etwa in Bezug auf die sozialen Aspekte im Unternehmen, als Ausgangspunkt seiner Strategie nutzen. Weiterhin kann der Arbeitgeber auch ein Interesse an der Erhebung von Daten haben, etwa im Hinblick auf die Analyse des unternehmenseigenen CO2-Verbrauchs. Schließlich kann auch ein Interesse daran bestehen, Mobilitätsdaten der Mitarbeiter zur Erfüllung der Anforderungen der nichtfinanziellen Berichterstattung zu erfassen (siehe auch nachfolgend Maßnahme (3)). 

Hinweis: In dem Rahmen o.g. Maßnahmen sind datenschutzrechtliche Aspekte besonders relevant. Ob die Datenverarbeitung für diese Zwecke im Ergebnis gerechtfertigt ist, ist eine Wertungsfrage, die bislang, soweit ersichtlich, nicht entschieden wurde. Daneben spielen vor allem mitbestimmungsrechtliche Fragestellungen eine wichtige Rolle.

(3) Steuerung der Arbeitnehmermobilität: Es ist naheliegend, im Rahmen einer ESG-Unternehmensstrategie den Bereich der Arbeitnehmermobilität mit einzubeziehen. Denn vor allem für den Aspekt Umweltschutz (Vermeidung der Treibhausgasemissionen) spielt die Arbeitnehmermobilität eine bedeutsame Rolle. Je nach Art des Unternehmens kommen verschiedene Maßnahmen in Frage, wie etwa:

  • Konzepte zur Flexibilität des Arbeitsorts (Vermeidung von Anfahrtswegen), z.B. unter Einführung eines Desk-Sharing-Arbeitsplatzkonzepts,
  • Förderung der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel, so auch durch Job-Tickets,
  • Angebote zur Nutzung von Diensträdern.

Hierbei sind rechtliche Aspekte zu beachten, wie etwa die Einhaltung des Datenschutzes, die Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats/der Mitarbeitervertretung und Arbeitsschutzaspekte (Home-Office). Zudem kommt es auf die Prüfung (lohn-)steuerlicher Implikationen von Arbeitgeberleistungen an. Die Aufstellung entsprechender Unternehmensrichtlinien (Beispiele: Reisekosten, Dienstwagennutzung) hat insbesondere unter Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erfolgen.

(4) Umstellung auf nachhaltige Ressourcen: Als Mittel zum Klimaschutz kommt eine Umstellung auf nachhaltige Betriebsmittel in allen Unternehmensbereichen in Betracht, bis hin zur Umstellung von Produktionsmitteln oder Produkten. Es sind dabei je nach Umsetzung verschiedene rechtliche Vorgaben relevant. Sofern eine Umstrukturierung des Unternehmens ansteht, ist aus arbeitsrechtlicher Sicht etwa eine frühzeitige Einbindung des Betriebsrats anzuraten.

(5) Förderung von Inklusion, Diversität und Chancengleichheit: Diesbezügliche Maßnahmen können zur Erreichung folgender Ziele ergriffen werden: 

  • Geschlechtergerechtigkeit und insbesondere Entgeltgleichheit für gleichwertige Arbeit, 
  • Förderung der Aus- und Weiterbildung, 
  • Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderung, 
  • Eindämmung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, 
  • Stärkung der Diversität im Unternehmen. 

Fazit: Eine Umsetzung der oben dargestellten Transformationsprozesse liegt im Interesse des Unternehmens. Denn es ist davon auszugehen, dass die Berichtspflichten künftig ausgeweitet werden und einheitliche Standards zu befolgen sein werden. Zudem werden Unternehmen, die ihre Prozesse nicht an die neuen Vorgaben anpassen, Nachteile in Kauf nehmen müssen. Jedenfalls ist künftig vermehrt mit Datenanfragen berichtspflichtiger Unternehmen in der Lieferkette oder mit Anfragen von Investoren zu rechnen.

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